Marrakesch - Warum eigentlich?
- Nadine

- 13. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Einige von euch kennen mich vielleicht noch aus den Anfängen meiner Zeit in Marokko. Damals, als ich mit meiner ersten eigenen Agentur "From Bremen to Morocco" voller Energie und Ideen durch das Land gereist bin – fast jeden Tag an einem anderen Ort, immer unterwegs, immer offen für das nächste kleine Abenteuer. Ich war jung, wild, voller Tatendrang und Entdeckerlust. Mein Rucksack war oft schneller gepackt, als ich selbst mit dem Denken hinterherkam. Doch heute möchte ich euch nicht von den Wüstenreisen und Bergtouren erzählen – sondern zurückgehen, ganz an den Anfang.
Zurück zu dem Moment, als alles begann. Als ich – eine junge Frau aus Deutschland, mit einem sicheren Job, einer gemütlichen Wohnung und einem scheinbar stabilen Leben – plötzlich beschloss, mein gewohntes Umfeld hinter mir zu lassen und einfach nach Marokko zu gehen. Ohne festen Plan, ohne Rückflugticket, ohne die leiseste Ahnung, wie sehr mich dieses Land verändern würde.
Wenn ich heute an diesen Moment zurückdenke, wirkt er beinahe surreal. Wie ein Film, in dem ich mich selbst beobachte – ein bisschen zu mutig, ein bisschen zu naiv, aber voller Herz. Es war eigentlich purer Wahnsinn, so ganz ohne Absicherung auszuwandern. Kein konkreter Job, keine Kontakte, keine Struktur. Und doch war da diese Klarheit in mir: Ich will das. Ich will raus. Ich will weg von dem, was mich einengt, hin zu etwas, das mich wieder atmen lässt.
Ja, mit der Erfahrung von heute würde ich vieles anders machen. Ich wäre vorsichtiger, informierter, vielleicht ein wenig strategischer. Ich würde gewisse Entscheidungen nicht mehr aus dem Bauch heraus treffen. Aber gleichzeitig weiß ich auch: Ohne diese Naivität, ohne diesen Mut ins Ungewisse, hätte ich viele der prägendsten Erlebnisse meines Lebens nie gemacht.
Was ich dadurch gewonnen habe – diese Perspektive zwischen Europa und Nordafrika, die Fähigkeit, in beiden Welten zu leben, zu vergleichen, zu schätzen – das ist für mich mit nichts aufzuwiegen.
Vom Homeoffice zum Abenteuer Nordafrika
Damals war mein Leben in Deutschland ruhig, strukturiert – und für Außenstehende wahrscheinlich absolut in Ordnung. Ich arbeitete als Übersetzerin und private Deutschlehrerin, reiste viel oder von zu Hause aus, hatte einen kleinen, hübschen Arbeitsplatz in der Küche, eine gemütliche Wohnung in einem kleinen Ort.
Aber mit der Zeit wurde dieses Leben für mich zu eng. Nicht unbedingt langweilig – aber zu vorhersehbar. Ich erwischte mich immer öfter dabei, wie ich auf die Uhr schaute und mir dachte: Schon wieder Dienstag. Schon wieder dieselbe Nachbarin, die über irgendetwas schimpft. Schon wieder die E-Mail mit der dringenden Deadline. Und dann dieser ewige Papierkram, die Briefe, die man schon gar nicht mehr öffnen will.
Meine Wochenenden sahen meist gleich aus: die gleiche kleine Kneipe, die gleichen Leute, das gleiche Gerede. Alle wussten alles über jeden, und doch fühlte sich alles irgendwie leer an. Ich funktionierte – aber ich lebte nicht mehr wirklich.
Natürlich habe ich mir später in Marokko manchmal genau dieses sichere, ordentliche Leben zurückgewünscht. Einen Supermarkt, der nicht spontan um 15 Uhr schließt. Einen Mietvertrag, der mehr ist als ein Handschlag. Aber damals, zu dem Zeitpunkt, brauchte ich den Bruch. Ich musste raus.
Und so kam es, dass ich mich an einem grauen Dienstagabend durch Reisewebseiten klickte – einfach so, zur Ablenkung – und auf ein Last-Minute-Angebot stieß: 10 Tage Marokko, mit Flug und Hotel, für schlappe 550 Euro. Ich buchte. Ohne lange nachzudenken.
Ich wollte Sonne. Palmen. Gerüche. Geräusche. Etwas Neues sehen, spüren, schmecken. Ich wollte irgendwo hin, wo niemand wusste, wie mein Alltag normalerweise aussah. Einfach mal loslassen.
Der erste Eindruck: Chaos trifft auf Faszination
Der Anfang meiner Reise war… sagen wir mal, ein kleiner Kulturschock mit Ansage. Mein Flug hatte Verspätung, der Reiseleiter, der mich vom Flughafen abholen sollte, wartete schon sichtbar genervt. Ich war froh, alleinreisend und weiblich zu sein – vermutlich hatte ich deshalb Glück, dass sich seine schlechte Laune in Grenzen hielt. Er belächelte mich eher müde, als dass er sie an mir ausließ.
Das Hotel war… typisch. Marokkanisch eben. Ein bisschen staubig, aufgesetzt orientalisch, aber natürlich ohne Handtücher oder Toilettenpapier. Für mich als Deutsche, die an Standards gewöhnt war, ein Detail, das mir sofort auffiel. Aber ich beschloss, es sportlich zu nehmen und holte mir die Sachen selbst von der Rezeption. Was verlangte man auch mehr für den Reisepreis...
Am nächsten Morgen wagte ich mich direkt in die Medina. Ich erinnere mich noch genau an den Geruch von Gewürzen, die engen Gassen, das Stimmengewirr. Und natürlich an meinen ersten „Gastfreundschafts-Trick“: Eine nette Gewürzhändlerin lud mich herzlich auf einen Minztee ein, sprach über ihre Familie, die Liebe zu Europa – und verkaufte mir anschließend ein paar "Perfumefläschchen" zu einem Preis, bei dem ich heute noch lachen muss. Aber ich war nicht böse. Ich war beeindruckt.
Dieses Chaos, diese fremde Welt, das ständige Angesprochenwerden – es hatte eine Faszination, der ich mich nicht entziehen konnte. Ich fühlte mich wie in einem lebendigen Museum. Überall gab es etwas zu entdecken.
Begegnung mit Abdou – und ein Wendepunkt
Und dann war da noch Abdou, der Reiseleiter. Er kam morgens kurz vorbei, um zu schauen ob im Hotel alles in Ordnung war und dann wieder nach Feierabend, um sich an der Bar ein paar Bierchen zu gönnen . Er sprach perfektes Deutsch, hatte in Deutschland gelebt, sein Studium abgebrochen und war schließlich zurück nach Marrakesch gezogen – wieder nach Hause zu seiner Mutter.
Er war ein netter Mensch mit einem großen, verschmitzten Lächeln. Wenn wir uns im Hotel sahen, unterhielten wir uns viel. Über Deutschland, über Marokko, über das Gefühl, zwischen zwei Welten zu hängen.
Und nein – das hier ist keine Liebesgeschichte. Es gab keine romantische Wendung, kein Klischee. Es war einfach ein ehrlicher Austausch zwischen zwei Menschen, die beide irgendwie auf der Suche waren - nur nicht nach einander.
Am fünften Tag meiner Reise nachdem ich zuvor von einem "Hustler" durch die Gerberei verfolgt wurde, von einem anderen Einheimischen dann auf einem Moped gerettet und viele andere Abenteuer erlebt hatte, kam dann der Umbruch. Nach einem Baraufenthlat mit Abdou bekam ich eine heftige Lebensmittelvergiftung – mit allem, was dazugehört. Fieber, Schüttelfrost, Durchfall, Erbrechen. Ich war allein, hilflos, völlig überfordert. Lag entweder im Bad auf dem Boden oder in der Dusche. Abdou hatte zwei Tage nichts von mir gehört und kam im Hotel vorbei, ließ sich vom Rezeptionisten zu meinem Zimmer führen.
Er organisierte einen Arzt, half mir beim Anziehen, packte eine Tasche, setzte mich auf einen kleinen Plastikschemel, den man sonst nur mit ins Hammam nahm und fuhr mit mir in einem kleinen, klapprigen Taxi zu seiner Mutter.
Ein Zuhause, das eigentlich keines sein sollte – und doch eins wurde
Seine Mutter lebte in einem einfachen Haus in einer der ärmeren Gegenden der Medina. Ein kleines, offenes Dar mit einem Innenhof, durch den Licht und Spatzen gleichzeitig kamen.
Sie war eine dieser marokkanischen Berber-Mütter, die nicht viele Worte machen – aber dafür umso mehr Taten. Sie kümmerte sich um mich, als wäre ich eine alte Bekannte. Gab mir Kräutertees, Suppe, Decken. Zeigte mir, wie man sich im Haus zurechtfindet, ohne ein Wort zu verstehen.
Und ich? Ich lag da, geschwächt, gerührt, beobachtete das Licht auf den Fliesen, roch frische Minze und dachte: Irgendetwas passiert hier gerade. Irgendetwas verändert sich.
Drei Monate später…
Ich kam zurück. Und diesmal nicht als Urlauberin. Ich mietete erst eine möblierte Wohnung am Stadtrand, dann ein kleines Haus in der Medina, begann mit einem Gästezimmer bei Airbnb, begleitete meine Gäste auf Tagesausflüge. Irgendwann eröffnete ich dann mein erstes Hostel. Und dann – aus der Nachfrage heraus – meine Reiseagentur.
From Bremen to Morocco war also geboren.
Und damit ein völlig neues Leben. Eines voller Höhen und Tiefen. Falsche Freunde, naive Entscheidungen, Geschäftsideen, die gestohlen wurden. Tränen. Wut. Kulturschock. Und immer wieder dieser Moment, in dem ich spürte: Ich gehöre trotzdem hierher.
Jahre später kam meine Tochter Mascha zur Welt.
Heute pendeln wir zwischen Europa und Marokko, wissen noch nicht genau welches Land es werden soll – und doch ist ein Teil meines Herzens immer noch in Marokko. In der Medina. In dem kleinen Haus. In der Nana-Minze, die nach Sonne riecht. Dort in der Stadt, wo die Hassliebe wohnt. Dort, wo alles begann.






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