Familie in Marokko - und ich dazwischen
- Nadine

- 13. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Wenn ich eins in den letzten Jahren gelernt habe, dann das: Familie fühlt sich nicht überall gleich an.
In Marokko ist Familie nämlich nicht nur Sonntagsthema. Kein „Wir treffen uns mal wieder zum Kaffee“ oder „Lass uns mal telefonieren“. Familie ist da. Immer. Überall. Man lebt mit ihr, atmet sie, teilt das Leben – in all seinen Facetten. Und das ist toll, warmherzig und voller Verbindung… aber für jemanden wie mich manchmal auch: einfach zu viel.
Ich bin in einer kleinen Familie aufgewachsen. Übersichtlich. Still. Kein ständiges Kommen und Gehen, kein Trubel. Man kannte jeden Besuch im Voraus, und wenn mal wer unangemeldet geklingelt hat, war das schon fast ein Skandal. In Marokko ist das völlig anders. Da steht plötzlich ein Cousin 3. Grades mit Familie vor der Tür, weil er gerade in der Gegend ist. Und man macht Platz. Für ihn, für alle. Für das Leben, das eben geteilt wird.
Und ich? Ich stehe mittendrin. Mal ganz offen, mal mit rauchendem Kopf.

In der Berberfamilie meines Mannes gibt es gefühlt keine leeren Räume. Jeder Moment ist gefüllt mit Stimmen, mit Fragen, mit Kindern, mit Lachen, mit Kochtöpfen, mit „Setz dich, iss was!“. Es ist schön, die Wärme, der Zusammenhalt, das Selbstverständliche, mit dem man aufgenommen wird. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich brauche oft eine Pause. Irgendwann werde ich nervös. Es wird zu viel.
Weil ich es einfach nicht gewohnt bin. Weil mir der Rückzug manchmal fehlt. Weil ich mit diesem Gefühl groß geworden bin, dass man Raum braucht, Zeit für sich – und dass es okay ist, wenn man sich mal eine Weile nicht hört.
Das ist in Marokko schwer zu erklären. Da gehört man einem. Da ist man Teil – ob man will oder nicht. Eigentlich was Schönes. Und gleichzeitig manchmal überfordernd.
Besonders spannend finde ich auch den Unterschied zu Deutschland und Österreich. In Deutschland ist man oft schneller raus aus dem Familienkreis, wenn man sich mal entfernt – emotional oder räumlich. Da wird seltener nachgehakt, mehr akzeptiert, dass sich Wege trennen. In Österreich ist’s noch ein bisschen anders – da gibt’s oft mehr Verbundenheit, gerade auf dem Land oder in religiöseren Familienstrukturen. Aber diese allumfassende, gelebte Nähe wie in Marokko – die gibt’s in dieser Form kaum.
Und ich verstehe jetzt besser, warum es mir in meiner kleinen Familie manchmal zu still war. Und warum es mir in der großen manchmal zu laut ist. Ich stehe einfach dazwischen. Und lerne, beides zu schätzen.
Ich merke auch, wie schön das für meine Tochter ist – zwischendurch immer wieder diese große Familie zu erleben, das Gefühl von „egal wo du bist, du wirst aufgefangen“. Aber auch das sie lernt, sich nicht in all den Rollen, Erwartungen und Menschen zu verlieren. Sondern ihren kleinen Raum zu bewahren, Rückzug, Stille.

Denn so sehr ich diese Nähe in Marokko immer wieder ganz schön finde – manchmal brauche ich einfach nur eine Tasse Tee. Für mich. Ohne fünf Stimmen im Hintergrund. Und das ist okay.





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