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Ein neues Leben in Marokko

  • Autorenbild: Nadine
    Nadine
  • 14. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit


Wenn ich an meinen Start in Marokko zurückdenke, kommt mir sofort dieses kribbelnde Gefühl von Aufbruch in den Sinn. Es war wie eine Mischung aus Neuanfang, Abenteuerlust und ein bisschen Trotz – gegenüber allem, was ich hinter mir gelassen hatte. Ich war euphorisch, fast schon ein bisschen übermütig – aber das Verrückte daran war: Ich hatte keine Angst. Keine Zweifel, kein Zögern. Es war kein „Mal sehen, wie es wird“, sondern eher ein inneres „Ja, das ist es. Hier bleibe ich. Ich mach das jetzt.“


Die ersten zwei Wochen verbrachte ich im Gästezimmer der Mutter meines Guides Abdou. Sie war eine kleine, stille Frau mit erstaunlich viel Wärme, auch wenn wir kaum eine gemeinsame Sprache sprachen. Ihr Haus lag in einer sandigen Sackgasse in einem der ärmsten Viertel der Stadt. Es war so ruhig im Haus, so anders. Es roch ständig nach Mintze, der Patio war noch oben hin offen, die Spatzen flogen durchs Haus und es gab auch kein Badezimmer, nur ein Loch im Boden einer alten Kammer mit Duschkopf oben an der Wand - alles so anders als ich es aus meiner alten Welt kannte. Ich schlief auf einem mit Stroh befülltem Sofa im edlen Gästezimmer und im Küchenteil unter der Treppe wurde täglich frisch auf dem Gasherd gekocht. Es war zwar bedrückend aber auch seltsam tröstlich.


Trotzdem merkte ich schnell: Ich brauche meinen eigenen Raum. Einen Ort, an dem ich einfach mal die Tür hinter mir schließen kann, ohne die Familie außerhalb des Zimmers zu hören. Einen Ort, an dem ich arbeiten, mich sammeln, allein sein kann. Und ehrlich gesagt auch: richtig duschen, wann ich will. Allein wohnen zu wollen war für mich keine Frage von Luxus – es war ein Stück Freiheit und ganz normal.


Also machte ich mich auf die Suche nach einer kleinen Wohnung in der Medina. Mein Traum war ein kleines Haus mit Dachterrasse, irgendwo in den unendlichen Gassen, wo ich morgens mit einem Tee in der Hand auf die Dächer und arbeiten könnte. Ich stellte mir vor, wie ich durch die Souks laufe, Brot beim Nachbarn kaufe, am Abend meine Fotos sichte oder Übersetzungen schreibe.


Aber was ich nicht wusste – oder vielleicht einfach verdrängt hatte: Als alleinstehende Frau, noch dazu Ausländerin, war ich für viele Vermieter keine Wunschmieterin. Man begegnete mir mit Gedanken, die mir die Sprache verschlugen: „Wollen Sie hier wirklich unverheiratet wohnen?“ oder „Kommt da nicht öfter mal ein Mann vorbei?“ Der Gedanke, dass ich einfach nur wohnen will, ohne versteckte Absichten, schien für viele schwer zu begreifen.


Nach mehreren erfolglosen Besichtigungen – teils mit Häusern, die mehr Ruine als Zuhause waren, teils mit übergriffigen Fragen aber hohen Preisen – gab ich auf. Ich landete schließlich in einer möblierten Wohnung am Stadtrand. Ein Betonklotz, funktional, ohne viel Seele, aber dort fragte keiner, wer ich war oder warum ich alleine wohne. Dort ging es nur ums Geld. Bezahlt wurde bar, ohne Vertrag, ohne Sicherheit – aber ich war drin.


WLAN gab es natürlich nicht. Also besorgte ich mir einen Internetstick, was vor 13 Jahren noch ein richtiger Krampf war. Das Netz war instabil, Seiten luden ewig, und es kostete Unsummen. Aber ich arbeitete weiter – am Wohnzimmertisch. Es war chaotisch, aber ich fühlte mich lebendig.


Mit der Zeit lernte ich andere Ausländer kennen, die wie ich in Marrakesch lebten. Manche kamen wegen der Sonne, andere wegen der Liebe, einige waren einfach hängengeblieben – zwischen zwei Flügen, zwei Leben. Viele suchten etwas: ein Zuhause, ein Gefühl, eine Pause vom alten Leben oder rannten vielleicht auch der Liebe hinterher. Nicht alle fanden es. Aber es tat gut, sich auszutauschen, Fragen zu stellen, sich gegenseitig aufzufangen, wenn der Kulturschock zu viel wurde.


Irgendwann wurde mir ein Job als Deutschlehrerin angeboten – ganz ungeplant, über eine Internetannonce die ich aufgegeben hatte. Es war eine kleine Sprachschule, einfach, aber voller Energie. Die Schüler waren alle Ärzte und Schwestern, die nach Deutschland zum Arbeiten wollten. Alle sehr neugierig und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich nicht nur „anwesend“ war, sondern wirklich gebraucht wurde. Der Job gab mir eine Struktur, eine Tagesroutine – etwas, das ich unterschätzt hatte.


Ich kaufte mir ein gebrauchtes Moped. Nichts Besonderes, aber es brachte mich von A nach B, und das Gefühl, selbst durch diese Stadt zu fahren, war für mich pures Glück. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Allein-Trip durch den Verkehr, die Angst in der Magengrube – und das breite Grinsen, als ich heil ankam. Ich war stolz. Auf mich. Auf das, was ich mir da gerade aufbaute.


Marrakesch war für mich von Anfang an ein Kontrastprogramm. Die elegante, moderne Neustadt mit ihren schicken Cafés, hübsch gekleideten Leuten, internationalen Supermärkten – und dann die Medina: laut, staubig, wild, mit all ihren Gerüchen, Farben, verwirrenden Gassen. Ich pendelte zwar täglich zwischen diesen Welten hin und her, aber genau da fand ich auch mein zu Hause.


Heute denke ich oft: Der Anfang war vielleicht gerade deshalb so ruhig, weil ich keine Angst hatte. Ich war so voller Tatendrang, dass ich für die Risiken gar keinen Blick hatte. Ich hab’s einfach gemacht. Ohne großen Plan, ohne Rückversicherung. Und manchmal, ganz ehrlich, ist genau das die beste Entscheidung, die man treffen kann.


Was danach kam, war nicht immer einfach. Aber dieser Anfang – der war meiner. Und er war gut.

 
 
 

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