Die Medina Marrakeschs - Wohnen in einer anderen Welt
- Nadine

- 18. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich im Leben schon umgezogen bin – aber zweimal bin ich ganz bewusst in die Medina Marrakeschs gezogen. Und jedes Mal war’s etwas Besonderes. Die Medina ist nicht einfach ein Stadtteil – sie ist ein Gefühl. Eine eigene kleine Welt. Ein Ort, der atmet, der lebt, der manchmal brüllt und manchmal ganz still ist. Eine Welt, die sich kaum verändert hat, obwohl draußen alles digitaler, lauter, schneller wird.
In den letzten 14 Jahren habe ich mich immer wieder von ihr entfernen müssen – wurde aber auch immer wieder von ihr angezogen. Meistens aus beruflichen Gründen: zum Fotos machen, als Reiseveranstalterin. Weil man in der Medina am nächsten dran ist am echten Leben. Und weil ich diese kleinen, charmanten Dars einfach liebe. Häuser mit Patina, mit Geschichte, mit Seele - genau das macht sie so besonders.
Ich erinnere mich noch gut an mein erstes eigenes Miethaus in der Medina. Ich war alleinstehend, hatte das Haus teils selbst renoviert, war stolz wie Bolle – und dann kam der Alltag. Die Gassen, durch die man sich jeden Tag schlängeln musste. Die Nachbarn, die alles mitbekamen. Wer kam. Wer ging. Was ich gekocht hab. Wann ich meine Wäsche aufhing. Die Farbe meiner Unterwäsche war irgendwann kein Geheimnis mehr.
Privatsphäre? Kaum vorhanden. Man lebt Tür an Tür – und Wand an Wand. Und während das auch Nähe und Gemeinschaft bedeutet, war es für mich als alleinstehende Frau manchmal echt herausfordernd. Ich hatte ständig das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen. Und wenn dann noch jemand zu Besuch kam – ein männlicher Freund oder später mein Partner – wurde es kompliziert. Denn ja, unverheiratet zusammenzuleben ist in Marokko offiziell nicht erlaubt, bis heute. Und in traditionellen Stadtteilen wie der Medina wird das oft ebenfalls nicht einfach übersehen.
Als ich dann mit meinem Partner, heute mein Mann, zusammen dort lebte, war das mit einem gewissen Risiko verbunden. Wir waren vorsichtig. Rücksichtsvoll. Aber ehrlich gesagt: Entspannt war das Leben nicht mehr. Irgendwann zog es uns raus – raus aus dem Trubel, rein in ein modernes Apartment mit mehr Ruhe, mehr Komfort, mehr Privatsphäre. Klimaanlage, Supermarkt in der Nähe, Fahrstuhl, Pool – all das, was man irgendwann vermisst, wenn man zu lange im Staub der Altstadt gelebt hat.
Und trotzdem… heute sehne ich mich wieder danach. In unserer modernen Wohnung, mitten im neuen Marrakesch, habe ich manchmal das Gefühl, alles sei ein bisschen zu glatt, zu durchgestylt, zu digital. Und ja – auch ein bisschen zu weit weg vom echten Leben. Ein Leben ziwschen den reicheren Marokkanern, Kindern ohne Grenzen, Mütter die ausflippen, wenns um ihren kleinen Prinzen geht, der nächtelang unter deinem Fenster Fußball spielt oder dir im Pool auf den Kopf springt.
Meine Tochter wächst gerade zwischen zwei Welten auf: Marokko und Österreich. Und mir wird immer klarer, wie sehr ich möchte, dass sie auch die andere Seite kennt. Die echte. Die unperfekte. Die, in der Kinder noch draußen auf der Straße spielen, Murmeln sammeln und sich gegenseitig von den Dächern aus zurufen. In der man mit Nachbarn spricht, ob man will oder nicht. In der man den Duft von Harira und Holzfeuer in der Luft hat, und nicht nur Parfüm und Autoabgase.

Natürlich ist das Leben in der Medina Marrakeschs nicht einfach. Es ist manchmal laut. Im Sommer heiß. In der Hochsaison voll.
Dafür bekommt man etwas anderes: Verbundenheit. Nähe. Echtheit. Und vielleicht genau die Art von Alltag, die ich für mein Kind als wertvoll empfinde. Weil sie lernt, dass das Leben nicht nur aus perfekt kuratierten Insta-Feeds und Displays besteht, sondern auch aus Begegnungen, Konflikten, Farben, Stimmen und echten Geschichten.
Ich weiß nicht, ob ich’s wirklich nochmal mache – ob ich mir wirklich wieder ein Haus in der Medina nehme. Aber ich merke, wie sehr mich die Sehnsucht danach gerade wieder erwischt hat. Ein kleines Haus mit Innenhof, ein paar gemütliche Zimmer, Dachterrasse... Und vielleicht ist es genau das, was mich über die Jahre so sehr mit Marokko verbunden hat: Diese Mischung aus Wahnsinn und Wärme. Aus Unruhe und Ursprünglichkeit.
Vielleicht ziehe ich nochmal zurück. Oder vielleicht reicht es auch, öfter da zu sein. Für mich. Für meine Tochter. Um zu spüren, dass Leben auch anders geht. Langsamer. Echter.






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