Als Frau alleine in Marokko
- Nadine

- 15. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Wenn ich heute darüber nachdenke, wie es wirklich war, als Frau allein in Marokko Fuß zu fassen, dann kommt da so viel zusammen – schöne Erinnerungen, nervige Alltagssituationen, echte Verunsicherung und gleichzeitig dieses unerschütterliche Gefühl: Ich schaffe das . keine Frage.
Schon in den ersten Tagen wurde mir klar, dass es einen riesigen Unterschied macht, wo man sich in Marrakesch als Frau bewegt. In der Neustadt war vieles einfacher. Dort lebte ich eher unauffällig, wurde in Ruhe gelassen, war irgendwie einfach nur eine von vielen. Ab und zu kam mal ein Flüstern oder ein blöder Spruch, aber im Vergleich zur alten Medina doch eher weniger. Ich konnte mit dem Roller durch die Straßen düsen, ohne ständig Blicke zu spüren – auch wenn ich anfangs noch viele erstaunte Gesichter sah.
Vor 13 Jahren war es für Frauen – vor allem für traditionell lebende Marokkanerinnen – noch nicht ganz so selbstverständlich, sich allein oder selbstbestimmt auf einem Roller durch die Stadt zu bewegen. Es passte einfach nicht ins Bild. Heute hat sich das zum Glück ein gutes Stück gewandelt. Immer mehr marokkanische Frauen sind sichtbar, unabhängig, mobil. Diese Entwicklung zu beobachten, war für mich etwas sehr Positives.
In der Altstadt, in der Medina, sah es jedoch ganz anders aus. Hier herrschen andere Regeln, unausgesprochen, aber spürbar. Als ich versuchte, mir ein kleines Haus dort zu mieten, stieß ich schnell auf Ablehnung. Alleinstehend? Europäerin? Unverheiratet? Das passte für viele Vermieter einfach nicht ins Bild. Die Angst, man würde Männerbesuch empfangen, oder gar „unangemessene Dinge“ tun, schwang oft mit – manchmal offen ausgesprochen, manchmal nur in Blicken und Andeutungen.
Ich war schockiert, aber auch wütend. Ich wollte einfach nur leben, wohnen, mein Ding machen. Nicht provozieren, nicht auffallen – einfach nur ankommen. Am Ende landete ich dann in einer möblierten Wohnung am Stadtrand. Sie war nicht besonders schön, aber dort stellte niemand Fragen. Kein Vertrag, kein Papierkram – Hauptsache, das Geld stimmte.
Mit der Wohnung kamen neue Herausforderungen. Zum Beispiel die regelmäßigen Kakerlakenbesuche, die ich auch nach Wochen nicht akzeptieren konnte – oder das Fehlen von WLAN. Ich arbeitete damals als Übersetzerin und bot nebenbei Deutschunterricht online an, also war Internet für mich unverzichtbar. Aber vor 13 Jahren war ein Internetstick noch die einzige Lösung – langsam, unzuverlässig, teuer. Ich saß oft fluchend am Küchentisch, während der Bildschirm lud und wieder abstürzte.
Und dann war da natürlich der Alltag draußen. Die Straßen, die Gassen, die ständige Geräuschkulisse. Als Frau war ich überall sichtbar. Nicht weil ich besonders auffällig war, sondern einfach, weil ich da war. Europäisches Aussehen, alleine unterwegs – das reichte schon, um jeden Tag mehrfach angesprochen zu werden.
Manche dieser Begegnungen waren freundlich, harmlos, nett gemeint. Andere waren respektlos oder einfach nur nervig. Es waren meist junge Männer, manchmal auch Teenager, die glaubten, ein flapsiger Spruch sei ein Gesprächseinstieg. Und obwohl es selten gefährlich war, ging es irgendwann auf die Nerven. Man will einfach in Ruhe zum Bäcker. Oder zum Amt. Oder durch den Souk schlendern, ohne dabei wie ein Zirkusattraktion behandelt zu werden.
Dazu kommt die alltägliche Unsicherheit: Wirst du gerade abgezockt oder ist der Preis fair? Lächelt dir jemand ehrlich zu oder steckt ein Hintergedanke dahinter? Besonders in kleinen Geschäften ohne Preisschilder, bei Taxifahrten oder wenn es um Mieten oder Verträge ging, musste ich mit der Zeit ein Gespür entwickeln. Am Anfang hatte ich das nicht. Ich wurde oft über den Tisch gezogen – wie viele, die neu hier sind.
Aber irgendwann merkt man, wie man anfängt, die Sprache der Blicke zu verstehen. Wie man erkennt, ob einen jemand ernst nimmt – oder nur spielen will.
Und genau da wird es auch bei Freundschaften schwierig. Gerade als ausländische Frau fragt man sich öfter: Meint die Person es ehrlich? Oder geht es um etwas anderes? Es gibt diese Momente, in denen man nicht mehr weiß, ob das „freundliche Interesse“ echt ist oder ob da Geld im Spiel ist. Oder die Hoffnung auf mehr – vielleicht Sex, vielleicht ein Visum, vielleicht ein besseres Leben außerhalb Marokkos.
Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt, das will ich ganz deutlich sagen. Aber ich habe eben auch erlebt, wie schnell eine „Freundschaft“ sich in jemanden verwandeln kann, der Erwartungen hat. Und es ist ermüdend, ständig alles zu hinterfragen.
Was mich besonders beschäftigt hat: Dass dieses Misstrauen nicht nur gegenüber mir als Europäerin existierte. Auch unter Marokkaner*innen selbst war und ist es oft schwierig. Viele Freundschaften oder Beziehungen sind nicht so einfach, weil eben ständig etwas mitschwingt – Erwartungen, Rollenbilder, Abhängigkeiten.
Ich habe in dieser Zeit unglaublich viel gelernt. Über mich selbst. Über meine Grenzen. Über Selbstbehauptung und Geduld. Ich habe gelernt, klar zu sein, freundlich zu bleiben, aber nicht alles mitzumachen. Und ich habe gelernt, dass Marokko zwar manchmal anstrengend ist, aber auch unendlich reich an Herzlichkeit, Lebensfreude und echtem Interesse.
In einem späteren Beitrag möchte ich noch tiefer in dieses Thema einsteigen – über Beziehungen, Männerfreundschaften, echte Freundinnen, Enttäuschungen und kleine Wunder. Denn gerade als Frau macht man in Marokko Erfahrungen, die einen prägen – manchmal schüttelnd, manchmal stärkend, manchmal beides gleichzeitig.
Aber eins ist sicher: Marokko verändert dich. Und du wächst daran – ob du willst oder nicht.





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